Russland führt 35-Sekunden "Shot Clock" ein

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    • Russland führt 35-Sekunden "Shot Clock" ein

      aus handball-world.com:

      Nicht erst seit der Manipulations-Affäre im internationalen Handball ist das passive Spiel ein Hauptkritikpunkt im Regelwerk des internationalen Handballs. Die russische Superleague der Frauen experimentiert unter anderem aus diesem Aspekt heraus in der kommenden Spielzeit erneut mit einer Regeländerung. Die Angriffszeit wird auf 35 Sekunden beschränkt, eine Maßnahme, mit der die aktuelle Regelung des „Passiven Spiels“ abgelöst werden soll. Gerade diese Regelung mit ihren oft undurchschaubaren Facetten und dem großen Spielraum für subjektive Entscheidungen der Referees steht – nicht erst vor dem aktuellen Hintergrund der Schiedsrichter-Manipulationsskandals in Europa – immer wieder in der Kritik. Die Initiative ist nicht neu, schon in den 80er Jahren hatte Russland mit dieser Regelung, damals allerdings auf 45 Sekunden begrenzt, einmal experimentiert.

      Die Schiedsrichterkommission der russischen Liga mit den Mitgliedern Chudoerko, Taranuchin, Kiselyov und dem ehemaligen IHF-Schiedsrichter Poladenko hat nun einen erneuten Anlauf unternommen, um die Angriffszeit zu begrenzen. Kern der Regeländerung ist die Feststellung, dass „die angreifende Mannschaft den Ball nicht länger als 35 Sekunden kontrollieren darf“. Ballbesitz heißt dabei, „dass die Mannschaft bzw. der Spieler den Ball hält, ihn führt oder innerhalb der zeitlichen Begrenzung weiterspielt.“

      Die Initiative definiert auch den Begriff der „Angriffszeit“, diese beginnt zu laufen:
      - nach dem Schiedsrichterpfiff – beim Anwurf und dem Anwurf nach Time-out
      ohne Schiedsrichterpfiff – in dem Moment, im dem der Ball die Hand des Spielers verlässt (Einwurf von der Seitenlinie, Freiwurf)
      - bei Abwurf durch den Torhüter, wenn der Ball vollständig die Torraumlinie überquert hat
      - beim Siebenmeter-Wurf beginnt die Zeitnahme in Abhängigkeit vom Ergebnis des Strafwurfes.

      Anders als im Basketball, in dem grundsätzlich nur 24 Sekunden Angriffszeit zur Verfügung stehen, um einen Punkt zu erzielen, kann im russischen Modell für die Superleague die Angriffszeit neu gestartet werden. So beginnt eine neue 35-Sekunden-Angriffssequenz nach einem Wurf auf das Tor und dem Abprallen des Balles vom Tor oder vom Torhüter zur angreifenden Mannschaft (unmittelbar oder durch Einwurf von der Seitenlinie) und nach einer progressive Bestrafung (Regelverletzung oder unsportliches Verhalten – Regel 16) eines Spielers oder eines Offiziellen der abwehrenden Mannschaft.

      Die Regel 7:1 (Passives Spiel) findet auch in der russischen Initiative ihren Platz. So erfolgt die Passivwarnung in folgenden Situationen:
      - Versuch der Mannschaft zum Spielende hin, den Spielstand zu halten (wenn der Torhüter oder ein Feldspieler der Mannschaft, die soeben ein Tor kassiert hat, den Ball in die gegnerische Hälfte wirft, unterbrechen die Schiedsrichter das Spiel – Time out – und zeigen – ohne vorherige mündliche Ermahnung – „passives Spiel“ an)
      - wenn die Mannschaft in Unterzahl spielt (die Mannschaft unternimmt zum Ziele des Zeitgewinns keinerlei Angriffshandlungen)
      - wenn die angreifende Mannschaft den Ball in ihre Hälfte zurückwirft
      - wenn die angreifende Mannschaft 10 Sekunden nach Ballerhalt diesen nicht in die gegnerische Hälfte gespielt hat

      Überwacht werden soll die 35 Sekunden Regel vom Zeitnehmer. Die Einführung einer Angriffszeit-Beschränkung ist in verschiedenen Sportarten bekannt, das prominenteste Beispiel ist der Basketball, der 1955 in der NBA dieses Mittel einführte, um die Taktik des „Uhr herunter-spielens“ zu erschweren und damit attraktiver für Fans und das Fernsehen zu werden. Auch beim Wasserball ist die "Shot clock" seit Jahrzehnten üblich. Dort sind die Funktionäre bei einem immerhin 30 Meter langen Feld im Jahre 2005 sogar auf 30 Sekunden heruntergegangen, weil ihnen 35 Sekunden bei internationalen Spielen zu langatmig waren.

      Die russische Initiative hat zu diesem Zeitpunkt allerdings ihre Motivation in der neu aufgelebten Debatte um den Einfluss der Unparteiischen im Spiel. Dabei gilt gerade die verhältnismäßig subjektive „Passiv“-Regelung als Schwachstelle des Regelwerks. Russland hatte so schon lange diese Änderung eingefordert und unternimmt nun einen neuen Testlauf.

      Fürsprecher findet die Begrenzung der Angriffszeit derweil auch in der Bundesliga, so sagte im handball-world.com Interview Kai Wandschneider, Trainer des TSV Dormagen: „Beim passiven Spiel könnten wir mit einer Begrenzung der Angriffszeit etwas tun, um die Schiedsrichter zu entlasten. Eine Uhr ist unbeeinflussbar, ein objektives Messinstrument und lässt keinen Spielraum zu. Hier muss man aber sehr behutsam vorgehen.“

      Bundestrainer Heiner Brand hatte im Zuge der Diskussion um Regeländerungen unlängst seine Ablehnung gegen „Schnellschüsse“ bekundet: „Man muss sicherlich darüber nachdenken, den Interpretationsspielraum der Schiedsrichter etwas einzuschränken. Aber das wird nicht die allheilbringende Maßnahme sein", sagte Brand gegenüber der dpa. "Die Angriffe dauern ja jetzt im Durchschnitt schon alle unter 30 Sekunden. Und eine zeitliche Begrenzung wie im Basketball ist nicht möglich, da im Handball der Abwehrspieler immer die Möglichkeit hat zu unterbrechen. Das Spiel würde ja dann zur Farce werden: Eine Abwehr ist etwas offensiver und aggressiver, sie unterbricht immer den Angriff - und am Ende hat die angreifende Mannschaft in 30 Sekunden noch gar keinen Versuch gestartet, aufs Tor zu werfen. Da muss man schon aufpassen. Ich hoffe, dass die Entscheidungsträger verantwortlich handeln."